Warum ich gegen die automatische Entlassung straffällig gewordener Kleriker bin
Kein Statement von Opfervertretern in der kirchlichen Missbrauchsdebatte kommt ohne die Forderung aus, man solle die Täter sofort aus dem klerikalen Stand entlassen. Und auch Vertreter der kirchlichen "Obrigkeit" betonen immer und immer wieder, dass man eine Nulltoleranzstrategie verfolge, was - so hat es den Eindruck - in der Praxis auch bedeutet, sich von auffällig gewordenen Mitarbeitern so schnell es geht zu trennen.
Denn ein Verbleib im Amt, so wird suggeriert, sei weder den Opfern noch den Kollegen noch den Vorgesetzten zuzumuten. Daher könne der Kleriker nicht Kleriker bleiben, vielmehr müsse man ihn zum Laien machen.
Ich möchte im folgenden darlegen, warum ich diese Forderung für falsch halte. Ich tue dies in dem Wissen, dass eine solche Anmerkung nicht dazu geeignet ist, spontane Zustimmung zu heischen. Mein Anliegen ist dabei nicht von der Ansicht getragen, solche Taten wögen nicht so schwer und man solle Nachsicht mit den Tätern haben. Weder das eine noch das andere ist der Fall.
Die Blogsoftware lässt keine Fußnoten zu. Ich habe daher Anmerkungen, die ich andernorts als Fußnote formuliert hätte, deutlich kleiner gesetzt. Meist geht es um Hinweise, die dem kirchenrechtlich versierten Leser bekannt sein dürften, für andere jedoch eine Verständnishilfe sein sollen.
Anlässe für eine strafweise Entlassung im Kontext des sexuellen Missbrauchs
Der Katalog möglicher Taten, die zu entsprechenden Strafverfahren und am Ende oft zur Entlassung aus dem klerikalen Stand führen, ist recht umfänglich. Er deckt die Bereiche Besitz und Verbreitung kinderpornographischer Bilder ebenso ab wie Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Innerhalb dieser beiden Tatgruppen finden sich unterschiedliche Häufigkeiten der Taten ebenso wie deutliche Unterscheide im Hinblick auf die Schwere der Taten. So wie es bei den aufgefundenen Bildern mal um einige wenige Nacktbilder und mal um mehrere Terabyte härtester Pornographie gehen kann, so reicht die Spannbreite der Taten gegen die sexuellen Selbstbestimmung von Grenzverletzungen mit fast Volljährigen bis hin zum hundertfachen schwersten sexuellen Missbrauch deutlich vorpubertärer Kinder. Alle diese Taten subsumiert der Codex Iuris Canonici in c. 1395 § 2 als Verfehlung gegen das sechste Gebot des Dekalogs, die mit einer gerechten Strafe zu belegen sei, die Entlassung aus dem klerikalen Stand nicht ausgeschlossen.
Das kirchliche Strafrecht kennt als Strafmaß meist nur die höchst unbestimmte Formulierung der iusta poana, der gerechten Strafe. Diese Formulierung, die angesichts der weltweiten Geltung des Gesetzbuches nicht grundsätzlich abzulehnen ist, führt nach c. 1349 CIC dazu, dass zumeist keine Dauerstrafen verhängt werden dürfen. Die Entlassung aus dem klerikalen Stand ist eine Dauerstrafe, nicht, weil das Leben als Laie als besonders Buße verstanden würde, sondern weil der Kleriker mit der Entlassung seine Unterhaltsansprüche gegen den Bischof verliert.
Die Vorzüge der strafweisen Entlassung
Eine solche Entlassung bringt einiges zum Ausdruck:
- Sie ist die schwerste Sühnestrafe, die einen Kleriker treffen kann. Es ist kaum möglich, noch deutlicher werden zu lassen, wie sehr man solche Taten verdammt, als wenn man hier die schlimmste aller Strafen verhängt.
Bisweilen wird auch die Exkommunikation der Täter gefordert. Eine solche Forderung verkennt jedoch, dass die Exkommunikation zu den sogenannten Beugestrafen gehört, deren Ziel darin besteht, den Delinquenten dazu zu bewegen, sein falsches Tun aufzugeben und sich mit der Kirche zu versöhnen. So wie der Delinquent nun aber sein gesetzwidriges Tun aufgibt, ist diese Strafe zwingend aufzuheben. Inhaltlich begründet wird diese Strafe damit, dass der Täter sich durch sein Tun von der Gemeinschaft der Gläubigen getrennt habe und solange diese Trennung andauere könne er am sakramentalen Leben der Kirche nicht teilnehmen. Als Sühnestrafe hingegen wäre die Exkommunikation nicht mehr Dokumentation einer Trennung des Täters von der Gemeinschaft der Gläubigen, vielmehr wäre sie eine Verstoßung des Sünders aus eben dieser Gemeinschaft.
- Die Androhung der Entlassung und mehr noch die Erfahrung, dass Täter entlassen wurden, soll potentielle Täter von Taten abhalten - sie ist also als generalpräventive Maßnahme gedacht, die die Kinder schützt, indem sie potentielle Täter abschreckt.
- Der Täter kann nach der Entlassung keine weiteren Taten in seiner Rolle als Kleriker mehr begehen - eine zumindest partikulär individualpräventive Maßnahme.
Vorzüge hinterfragt
Zu den auf den ersten Blick unstreitigen Vorzügen sind gleichwohl Bedenken anzumelden:
- Bekanntlich stehen Sexualstraftäter in der Gefängnishierarchie auf der untersten Stufe, und wenn Kinder involviert sind, dann steigt das Maß der Verachtung nochmals deutlich an. Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung scheint es keine schlimmere Tat zu geben als der sexuelle Missbrauch Minderjähriger. In der sexuellen Gewalttat gegen Kinder kehrt das mythische Verbrechen in der einzigen Form wieder, die mit den Gegebenheiten der modernen Gesellschaft kompatibel ist. Wo man den sexuellen Missbrauch des Kindes zum schlechten Akt schlechthin stilisiert, steht man selbst vollkommen sicher auf der Seite des Guten.
- Ohne damit die Ernsthaftigkeit der Schuld in Zweifel ziehen zu wollen - so ist doch anzufragen, ob das hier angewendete one-size-fits-all Prinzip wirklich angemessen ist, wenn man für alle erdenklichen Straftaten an Minderjährigen im sexuellen Bereich immer ein und dieselbe Strafe verhängt. Zumal - darauf muss hingewiesen werden - derjenige, der einmal die Grenze überschritten hat, nichts mehr zu verlieren hat. So gibt es aus dem staatlichen Bereich valide Hinweise, dass lebenslange Freiheitsstrafen für Sexualstraftaten diese in ihrer Zahl nicht sonderlich verringern (das durchschnittliche Täter erwartet ja, nicht gefasst zu werden), sie aber die Überlebenschance der Opfer drastisch verkleinern. Denn die Tötung zur Verdeckung der Tat kann den Strafrahmen ja nicht mehr vergrößern, das tote Opfer jedoch kann den Täter nicht mehr identifizieren. Die verschärfte Strafe hat hier nicht nur generalpräventive Wirkung - sie kann auch zum Anlass für weitere, noch schwerere Taten werden.
Das Trachten des Täters ist primär nicht auf die Vermeidung der Strafe als vielmehr auf die Vermeidung der Entdeckung gerichtet, so dass wichtiger als die Schwere der Strafe die Sicherheit der Entdeckung sein dürfte. Präventionsarbeit setzt daher aus gute Grunde sowohl darauf, potentiell gefährliche Situationen zu verhindern als auch darauf, es Opfern leicht zu machen, Taten anzuzeigen.
- Der individualpräventive Effekt, also den Täter von weiteren Taten abzuhalten, beschränkt sich bei der strafweisen Entlassung darauf, dass im Fall weiterer Taten die Kirche nicht mehr im Fokus der Aufmerksamkeit stehen wird. Dabei bietet das kirchliche Recht weit bessere Werkzeuge an, die einen Täter von weiteren Taten abzuhalten in der Lage sein können.
Folgen der Entlassung
Fraglos - Priester zu werden ist eine tiefgehende Entscheidung, die der Kandidat lange bedenkt und so ist zu hoffen überlegt trifft. Die Bereitschaft, sich weihen zu lassen, ist die Antwort des Einzelnen auf eine als Berufung interpretierte Erfahrung. Auch wenn viele angehende Kleriker alternative Berufsideen haben mögen, die Frage des Seminaristen ist doch meist eine Ja-oder-Nein Frage, "Priester oder nicht Priester", und nicht etwa "Priester oder Lehrer". Diese ganzheitliche Dimension, das sich ganz in den Dienst nehmen lassen darf man nicht außer Acht lassen, wenn es zur Entlassung kommt. Auch da, wo sie wohl begründet und zu Recht erfolgt, stellt sie den Abbruch eines Lebensentwurfes und damit eine tiefe Zäsur im Leben des Betroffenen dar.
Mit der Entlassung aus dem klerikalen Stand und ggf. aus dem Orden verlieren die Betroffenen das Recht auf Unterhalt und Versorgung, die werden aber auch befreit von ihrem Pflicht zum Gehorsam gegenüber ihren Oberen.
Wie der aus dem Klerikerstand Entlassene jenseits der persönlichen Befindlichkeiten da steht, das hängt extrem von den Faktoren Welt- oder Ordenspriester und Lebensalter ab. Im Grundsatz können zwei Gruppen ausgemacht werden - Priester deutlich unterhalb des Renteneintrittsalters und Priester im Rentenalter.
- Für beide Gruppen gilt, dass sie nicht Arbeitslosenversichert sind, so dass hier ggf. Alg II (Hartz IV) zu beantragen ist. Auch läuft der Krankenversicherungsschutz schnell aus, auch hier muss sich der Betroffene selbst um den nötigen Versicherungsschutz bemühen.
Der Dienstgeber (Bistum oder Orden) muss den Entlassenen bei der Deutschen Rente nachversichern, das bedeutet,e s werden jene Beiträge nachgezahlt, die gezahlt worden wären, wenn Rentenversicherungspflicht bestanden hätte. Bei Ordensleuten (die kein gehalt beziehen) wird her allerdings der Mindestsatz zugrunde gelegt, bei Weltpriestern das real gezahlte Gehalt zugrunde gelegt.
Was beide Gruppen in jedem Fall behalten, dass sind die im Dienst erworbenen Softskills: Beziehungen und Vertrauen zu Menschen aufzubauen, Verlässlichkeit zu suggerieren, zuzuhören etc. Gerade bei körperlich übergriffig gewordenen Klerikern sind es genau diese Fähigkeiten, die ihnen die Taten ermöglicht haben!
- Priester deutlich unterhalb des Renteneintrittsalters sind aus Sicht des Arbeitsamtes nicht einfach zu vermitteln, dennoch haben sie mit einem abgeschlossenen Theologiestudium sowie Erfahrung in Verwaltung und Management sowie in der Begleitung von Menschen durchaus Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die begangene Tat ist jedoch unter Vermittlungsgesichtspunkten als hinderlich zu betrachten, so dass ihnen je nach Persönlichkeit (vor allem Flexibiltät ist hier ein wichtiger Punkt) ein erfolgreicher Wechsel in einen anderen Beruf gelingen kann, aber auch ein Verbleiben in Hartz IV. denkbar ist.
- Bei Priestern im Rentenalter kommt es auf ihre Lebensgeschichte an: Der Weltpriester bekommt nach Jahrzehnten als Pfarrer eine Rente, die ihn nicht schlechter stellt als zuvor. Sofern er früher eine Haushälterin hatte, bekommt er netto sogar mehr Rente ausgezahlt als er als Pfarrer zur Verfügung hatte. Er darf also im weltlichen Sinne als abgesichert gelten. Dem nur zum Mindestsatz nachversicherte Ordensmann hingegen droht ein Leben in Altersarmut.
Der verurteilte Kleriker - Optionen des Kirchenrechts
Das priesterliche Dienstverhältnis ist eines der besonderen Art. Der Kleriker ist zu Stundengebet und Zölibat ebenso verpflichtet wie zum kanonischen Gehorsam gegenüber seinen Oberen, d.h. er hat das zu tun oder zu lassen, was diese ihm im Einklang mit dem Gesetz ge- oder verbieten. Aus diesem Dienstverhältnis erwächst ihm ein Anspruch auf ausreichenden und angemessenen Lebensunterhalt, dieser kann auch ganz oder teilweise in Naturalien geleistet werden.
Das schon genante Strafmaß der gerechten Strafe erlaubt es dem Gericht, fast beliebige Auflagen zu verhängen. Zu nennen sind hier
- Zelebrationsverbote oder -einschränkungen,
- Gebote, sich an bestimmten Orten aufzuhalten oder Verbote, bestimmte Orte zu meiden,
- Verpflichtungen zu Bußwerken (Gebete, Fasten, Wallfahrten,...),
- Auflagen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen,
- Geldleistungen an die Opfer zu zahlen.
Verstöße gegen solche Anordnungen können ihrerseits sanktioniert werden, bis an den Punkt, an dem der Delinquent ausschließlich Naturalleistungen erhält (Wohnrecht im Priesterseminar, Vollverpflegung dort und priesterliche Kleidung aus der Kleiderkammer) bei Pflicht zur Arbeit, und wenn diese darin besteht, die (meist nicht vorhandenen) Latrinen zu putzen. Denn als Kleriker hat er einen Unterhaltsanspruch gegen den Bischof und damit keinen Anspruch auf staatliche Leistungen!
Damit hätte die Kirche Mittel an der Hand, dem straffällig gewordenen Priester weitere Taten zumindest erheblich zu erschweren, indem sie ihm ein Wohnen unter Aufsicht auferlegen, den Kontakt zu Kindern und Familien untersagen, die Nutzung des Internets verbieten oder klar beschränken, Meldeauflagen am Ort etc.
Eine solche Lösung ist fraglos unangenehm für alle Beteiligten und erfordert die Bereitschaft, dem Täter oft, womöglich täglich zu begegnen. Es verlangt, mit Schuld umzugehen, Sühne ernst zu nehmen und sich den Kinderschutz etwas kosten zu lassen (dafür spart man die Nachversicherung bei der Deutschen Rente). Die Kirche könnte Täter aus ihren eigenen Reihen in einer Weise maßregeln, die dem Staat nicht möglich ist - darauf hinzuweisen war mir ein Anliegen.